Man liebt ihn oder duldet seine Werke, aber einen Nimbus in der Literaturgeschichte hat Eugen Berth(old) Friedrich Brecht für die Ewigkeit. Was ihn bis heute begleitet, ist ein leicht widersprüchliches Wesen – war er Kommunist, einfach ein Visionär, ein un/freiwilliger Weltenbummler, der ohne Heimat, aber mit einem starken Vaterlandbezug starb. 50 Jahre danach stellt sich wieder die Frage, nach dem damaligen unterschwelligen Konflikt zwischen Ost und West, ob er – to be Communist or not to be – war? Mögen jetzige und zukünftige Literaturwissenschaftler dieser These in universitären Seminaren weiter nachforschen und weiters keine schlüssigen Ergebnisse bringen. BB, wie er liebevoll von seinen Fans und Weggefährten genannt wurde, war ein Anhänger des kommunistischen Grundgedankens der positiven materiellen Umverteilung, lebte aber in seinen letzten Lebensjahren einen kapitalistisch angehauchten Stil in der ehemaligen DDR. Brecht lebte gut mit dem Schmäh seiner Zweideutigkeit um seine Einstellungen – wahrlich gilt er als natürliches PR-Genie seiner Zeit. Er trat gleichzeitig als großer Kritiker des Systems auf, sah seine historisch gebotenen Chancen, etwas nach seinen Vorstellungen in einem kürzlich geschaffenen Staat aufzubauen, die er in einem Briefverkehr mit Gottfried von Einem am 7. Januar 1951 beschrieb: »Mich bestätigt der Versuch, neues Theater aufzubauen, es nimmt mir die Zeit, dafür zu schreiben«. BB erfreut sich, nach Jahrzehnten des Nomadentums eine Art Heimat für sein Schaffen und seine Person gefunden zu haben. Organisieren und gleichzeitig künstlerisch tätig sein, dies schaffte Brecht gut. BBs größter Asset, neben seiner frischen Schreibwut und Zugang für zeitlose Gesellschaftsthematiken, waren seine weiblichen Gehilfinnen. Diese Wegbegleiterinnen in Rollen von Musen, Lektorinnen, Umsetzungsmöglichkeit der fleischlichen Lust, oder heimlichen Verfassern zahlreicher Schriften, stehen bis heute im Schatten Brechts und werden noch zum Literaturreißerthema in Boulevardzeitungen. Eine neue These für alle Interpreten seiner Person: Ist BB wegen seinen Schriften oder wegen Allem ein Popstar? Sicherlich ein Pionier in der Ausrichtung einer teils neuen Theatererzählform, ein Weitgereister aus Augsburg mit späterem österreichischen Pass und ein Arrangeur der turbulenten und teils lebensbedrohenden Umstände und Verwirrungen, brachten und bringen ihm heute noch Diskussion, Lobhuldigungen etc. ein. Alfred Torberg, ein Verhinderer großer Brecht’scher Taten in Wien, wird meist nur mehr als negativer Zusatz zu dieser Geschichte erwähnt. BB ist und bleibt ein rauchendes, historisches Gesellschaftswesen mit viel Sonne und Schatten.
Unterstütze uns mit deiner Spende
skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an unseren Verein zur Förderung von Subkultur. Vielen Dank!
Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria
Ähnliche Beiträge
Leiwande Geschichten
Der neu gegründete Wiener Verlag Leiwand erinnert mit »Unikat. Geschichten von und über Christa Urbanek« an eine Ausnahmekünstlerin der Kleinkunst-, Theater- und Rockbühnen.
Milan Kundera – Maximale Vielfalt auf minimalem Raum
Der französische Autor mit wenig geliebten tschechischen Wurzeln ist tot. Er hinterlässt neben ganz guten Romanen eine kluge Vision für Europa.
Der Körper erinnert sich
Geister des Ungesagten und Unsagbaren verfolgen die Patient*innen der Psychotherapeutin Galit Atlas. Seltsame, verschlungene Wege zur Geistervertreibung eröffnen sich in ihrem Buch »Emotionales Erbe. Eine Therapeutin, ihre Fälle und die Überwindung familiärer Traumata«.
»Töten liegt niemandem im Blut«
Am 7. April 2023 starb US-Jurist Benjamin Ferencz im Alter von 103 Jahren. Aufgewachsen in New Yorks Hell’s Kitchen, im Westen von Manhattan, lernte Ferencz schon früh, hartnäckig seine Ziele zu verfolgen. Wie Nazis anzuklagen, was er später in Nürnberg durchzog.
Putin all over
Zwei aktuelle Bücher über die Hintergründe der despotischen Allmacht und die (sub)kulturellen Lebensumstände in der Tyrannei der Russischen Föderation: Norma Schneiders »Punk statt Putin« und Gesine Dornblüths/Thomas Frankes »Jenseits von Putin« gewähren triste Einblicke.
Faktion statt Fiktion
Bodo Hell kann auf eine lange Geschichte des Schreibens zurückblicken, doch bleibt der österreichische Autor neugierig auf mehr. Im Interview erkunden wir sein Denken und öffnen Möglichkeitsräume, in denen er seine »rhythmische Prosa« ent-deckt.
»Nur in Freiheit können wir kreativ sein«
In »Der lange Arm der Stasi« zeigt Künstlerin Gabriele Stötzer das komplexe Überwachungsnetz der DDR anhand des künstlerischen »Untergrunds« in Erfurt auf. Was dieses Wissen heute für uns bedeuten kann und warum es das Kollektiv braucht, erzählt Stötzer im Interview.
22 Kilo subversive Weisheit
skug will sein papiernes Archiv langsam auflösen, blättert dabei nochmals alle 104 Hefte durch, sortiert sie und wird das gedruckte Vierteljahrhundert auf verschiedene Weisen nun besser zugänglich machen.
Der Thrill im Gewohnten
Domestric Thriller thematisieren die Gefahr dort, wo wir sie am wenigsten erwarten: in unseren eigenen vier Wänden. In dem im August 2022 von Drehli Robnik und Joachim Schätz herausgegebenen Sammelband »Gewohnte Gewalt« zeigen über 50 Autor*innen die Potenziale und Problematiken des Genres.
Avantgarde war gestern … was bleibt ist Arrière-goût #7
Der Arrière-goût ist der Nachgeschmack der künstlerisch-literarischen Revolte, mit dem Schriftsteller*innen, Aktivist*innen und Kulturarbeiter*innen heute umzugehen einen Weg gefunden haben. Wir diskutieren mit ihnen diesen Umgang in loser Folge. Diesmal mit der Literaturplattform Litrobona.
Stellvertreter unseres Größenwahns
Über Werner Herzog als Helden der Kunst und warum man unbedingt seine Memoiren lesen sollte, bevor man ihn auf der Viennale trifft.
Punk als Akt der Befreiung
Am 2. September 2022 erschien die Song-Compilation »Revenge of the She-Punks« von Post-Punk-Pionierin Vivien Goldman, inspiriert von ihrem gleichnamigen Buch. Ihre Lesetour brachte sie am 7. September in den Wiener Kunstraum school. Ein Abend voller Punk und female Empowerment.











